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Tyrosur Tube und Schachtel

Werbefotografie – Nur Lug und Trug?

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Statistiken besagen, dass der Mensch ca. 20.000 Worte am Tag spricht. Andere Statistiken sprechen davon, dass 200x am Tag gelogen wird. Das ist zwar umstritten, aber geht man auch nur von 20x aus, dann versteckt sich in 1000 Worten mindestens eine Lüge.

Was bedeutet das für den, der das Bildermachen zu seinem Beruf gemacht hat? Sind wir damit alle notorische Lügner? Ja und nein! Uns Werbefotografen wird es vom Konsumenten gerne mal zum Vorwurf gemacht, dass Produkte so präsentiert werden, wie sie in Realität nie gesehen werden können. Größer, glänzender, praller, leckerer, edler.

Ist der Konsument aber selbst als Kunde beim Fotografen, dann wird genau das von ihm erwartet.

Egal ob es dabei um Passbilder, Bewerbungsfotos oder Erinnerungsfotos geht. Bevor man sich vor die Kamera setzt wird sich noch mal rasiert, geschminkt, zum Friseur gegangen, sich dem Anlass entsprechend gekleidet. Und es wird der Kamera auch möglichst nur die Schokoladenseite gezeigt. Man erwartet vom Fotografen Regieanweisungen, die über ein „bitte lächeln“ hinausgehen und das er das Licht so setzt, dass Makel möglichst im Verborgenen bleiben. Es darf anschließend auch gern ein bisschen gephotoshopt werden.

Werbefotografen machen auch nichts Anderes. Selbst bei so einem simplen Packshot wird geschummelt. Die Packung ist die schönste der zehn Fotomuster, die der Kunde zur Auswahl geliefert hat. Die Laschen der Schachtel wurden allesamt verklebt, damit sie möglichst formschön da liegt. In die Tube wurde vorher noch mal ordentlich reingepustet, damit sie schön prall wirkt. Die Brennweite ist länger als die des normalen Betrachtungsabstands, um die Proportionen ausgewogener zu zeigen. Das Licht ist harmonisch. Daher sind auch die Reflexe nicht die, die wir in der Apotheke oder zu Hause auf dem Produkt sehen.

 

Autofotografen beschweren ihre Modelle im Fußraum mit Waschbetonplatten, damit sie sich sportlicher präsentieren. Modefotografen tapen oder klammern die Produkte auf dem Rücken ihrer Models zusammen. Architekturfotografen verwenden Kameras mit denen man stürzende Linien vermeiden kann. Foodfotografen …, tja, die sind wohl die umstrittensten.

Grenzen der Werbefotografie

Burger, deren Patties nicht tiefgefroren, sondern aus Frischfleisch zubereitet wurden. Von dem auch nur der Rand zu sehen ist, während der Rest aus Styropor besteht. Sesamkörner, die einzeln mit der Pinzette und Klebstoff aufgesetzt wurden. Salat, Tomaten und Zwiebeln frisch besorgt und selektiert, damit nur die schönsten auf den Burger kommen, um dort mit Stecknadeln fixiert zu werden. Glyzerin mit der Pipette aufgesetzt, damit der Salat noch frischer aussieht. Saucen, die nur noch von der Farbe so sind, wie man sie später ist zu essen bekommt, aber so angedickt werden, dass sie nicht mehr laufen. Käse, der erst kurz vor der Aufnahme mit einem Flambierbrenner zum Schmelzen gebracht wird.

Ich kann verstehen, dass hier für Manche die Grenze schon überschritten ist. Das Gleiche gilt für Tiefkühlgerichte, die nach der Abbildung auf der Verpackung ein Sternemenü erwarten lassen und dann irgendetwas zum Vorschein kommt, das nur entfernt etwas mit dem Bild zu tun hat.

Aber soll man daraus dem Fotografen einen Vorwurf machen? Natürlich hat er mit seinem Geschick die Möglichkeiten dazu geschaffen. Mit analogen Mitteln war es noch ein ganzes Stück schwerer und so waren zu der Zeit noch Spezialisten unterwegs, die teils allein, teils in Kooperation mit Foodstylisten Maßstäbe in der Foodfotografie gesetzt haben. Dieses Know-How haben sich dann nur zu gern die Hersteller und deren Werbeagenturen zu eigen gemacht. Mittlerweile bekommt man häufig Foodabbildungen zu sehen, die weder eine Küche noch ein Fotostudio gesehen haben, sondern komplett aus dem Rechner stammen.

Das Auge isst mit

Minipizza

So etwas würde ich natürlich nie tun. Sei es aus moralischen Gründen oder vielleicht auch deshalb, weil sich mein Name in der Foodszene noch nicht wirklich herumgesprochen hat. Aber auch ohne als ausgesprochener Foodfotograf zu gelten wollte ich das Thema für ein Buchprojekt mit behandeln. Freundlicherweise hat sich Tino Kalning (Foodstylist Frankfurt/Offenbach) dafür gewinnen lassen. So haben wir dann gemeinsam einen Tag im Studio gewerkelt.

Herausgekommen sind diese Pizzen. Schön anzusehen und auch essbar. Ob sie allerdings so gut schmecken wie sie aussehen wage ich anhand der Gerüche, die aus der Küche ins Studio schwappten, zu bezweifeln. Die Böden bestehen zwar aus echtem Pizzateig, wurden aber mit der doppelten Hefe blind vorgebacken. Die Tomatensauce stammt aus Tetrapacks, die ungewürzt soweit eingekocht wurde, bis die Konsistenz passte. Das Gemüse wurde, um die Farben zu erhalten, nur kurz in Essig blanciert. Der Käse nicht auf der Pizza, sondern auf einem Bogen Backpapier geschmolzen. Keine Stecknadeln, kein Styropor, kein Glycerin. Höchstens ein bisschen Speiseöl, um dem Ganzen etwas Glanz zu verleihen.

Zur Ehrenrettung der Nahrungsmittelindustrie und Foodfotografen

Die Hochzeits-Tütensuppe eines namhaften Instantsuppenherstellers hatte mich neugierig gemacht. Sind tatsächlich alle Bestandteile, die auf der Tüten-Abbildung vorhanden waren wirklich auch so in der Tüte zu finden? Ja, tatsächlich, bis auf die frische Petersilie, die das Tütenbild abrundet, war wirklich alles drin. Aus rechtlichen Gründen kann ich es hier aber nicht zeigen.

Hochzeitssuppe in der Tasse

Allerdings ging die Zubereitung für diese Aufnahmen nicht ganz so von statten, wie es auf der Verpackung empfohlen wurde. Erst wird mal geschaut, was alles drin ist. Grießklößchen, Fleischbällchen, Pasta, Gemüse und Instantpulver wurden selektiert. Zeitgleich wurde aber dennoch eine Tüte nach Packungsvorschrift zubereitet und in die Tasse gefüllt, die als Einsteller dient. Denn natürlich sollte das Set bereits eingerichtet und eingeleuchtet sein, bevor die „richtige“ Suppe ihren Auftritt hat.

Am Einsteller war zu sehen, dass sich die gesamte Suppeneinlage auf dem Tassenboden absetzt, wenn ihr nicht Einhalt geboten würde. Also wurde für die „richtige“ Suppentasse ein transparenter Zwischenboden gebastelt, auf dem die Einlage dann liegen sollte.

Die Instantbrühe wurde vorgekocht und abgekühlt, damit sich später kein Kondenswasser am Löffel und am Tassenrand niederschlägt. Hackfleischbällchen, Grießklößchen und Gemüse quollen in warmem Wasser vor. Die Nudeln wurden separat angekocht und dabei mit Lebensmittelfarbe noch etwas gekräftigt. Die Hackfleischbällchen drehten zusätzlich noch ein paar Runden in der Bratpfanne, damit sie ein paar Röstkanten bekommen.

Das war auch schon der ganze Fake. Alles vorsichtig im Set in die Tasse gefüllt und auf den Löffel drapiert. Fertig! Theoretisch sogar essbar. Aber wer will das schon, wenn vorher jede Nudel und jedes Bällchen einzeln angefasst wurden.

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